Im heutigen Interview mit Jana Seelig, Autorin des Buches Minusgefühle, widmen wir uns dem heiklen und bisher oft verschwiegenem Thema Depression. Durch einen Tweet mit ein paar Zeichen sorgte die Wahlberlinerin für große Aufruhr im Netz und der Hastag #NotJustSad war geboren. Kurz darauf glühte das Mail-Postfach, es folgten Interview-Anfragen und zu guterletzt brachte sie ihre ganz persönliche Geschichte in Minugefühle auf’s Papier. Höchste Zeit, dass sie uns einige Monate nach der Veröffentlichung des Buches ein paar Fragen beantwortet und wir ihr Werk und ihre Arbeit näher vorstellen.


Wie hast du dich gefühlt, als du bemerkt hast, was deine Statements auf Twitter für eine Welle losgetreten haben? Eigentlich wolltest du ja nur deinen damaligen Freund Sven wachrütteln und ihm deine Lage verdeutlichen. Und hast du noch Kontakt zu Sven?
Im ersten Moment war ich überfordert und habe geweint und dann habe ich eine ganze Zeit lang gar nichts gefühlt. Im Nachhinein betrachtet habe ich funktioniert wie ein Roboter, der zwar in der Lage war, alle Aufgaben, die ihm zugetragen wurden, zu verrichten, aber dabei keine Gefühle hat.

Interview mit Jana Seelig Autorin von MinusgefühleWie geht man mit so einer Vorbildfunktion um, die du jetzt für einige Betroffene darstellst? Oder siehst du dich gar nicht in dieser Position?
Ich kann (und will) überhaupt keine Vorbildfunktion einnehmen. Ich führe kein Leben, das man nach allgemeinen Vorstellungen „vorbildlich“ nennen könnte. Ich mache einfach das, worauf ich Lust habe. Für mich bedeutet der Satz „mit Depressionen normal zu leben“, dass ich alle Dinge tun kann, die ich auch tun könnte, wenn ich nicht depressiv wäre. Dazu gehört für mich ganz persönlich auch, mal über die Stränge zu schlagen, auch wenn die Gesellschaft das nicht gerne sieht.
Stella Young hat meine Position dazu sehr gut auf den Punkt gebracht: I’m not your inspiration, thank you very much!

Hättest du dir gewünscht, dass deine Freundin Lotte dir eher von ihrer Vermutung berichtet hätte? Und nicht erst nachdem bei dir die Diagnose Depression nach einer langen Odyssee von unterschiedlichen Ärzten im Raum stand?
Nein. Es ist nicht ihre Aufgabe, sich in diesem Punkt ungefragt in mein Leben einzumischen. Dazu kommt ja, dass sie selbst Psychotherapeutin ist und weiß, welche Auswirkungen es haben kann, wenn jemand im privaten Umfeld mit Verdachtsdiagnosen daherkommt. Das ist eine extrem schwierige Nummer, die mit Vorsicht zu genießen ist. Ich bin froh, dass sie so gehandelt hat, wie sie gehandelt hat.

Wie reagiert deine Familie – insbesondere dein Vater – auf das Buch?
Meine Familie ist sehr stolz auf mich. Auf mein Buch und den Weg, den ich in meinem Leben mittlerweile eingeschlagen habe. Zu meinem Vater habe ich keinen Kontakt.

Wie geht es dir jetzt nach der Veröffentlichung des Buches? Ist es komisch, dass wildfremde Menschen nun dein Innerstes kennen?
Nein, überhaupt nicht. Das Buch ist ein winziger Teilaspekt meines Lebens. Ich bin nicht die Depression und sie spielt in meinem Leben auch eine wesentlich geringere Rolle, als das Buch vermuten lässt. Man muss das differenziert betrachten. Ich habe ein Buch über Depressionen geschrieben. Natürlich spielt die Erkrankung dann im Buch auch die Hauptrolle. In meinem echten Leben tut sie das glücklicherweise nicht (mehr). Ich bin viel mehr als das, was in „Minusgefühle“ steht. Und man darf auch nicht vergessen, dass jeder Leser mein Leben auf seine eigene Weise interpretiert, wenn er das Buch liest. Oftmals hat das sehr wenig mit dem zu tun, wie ich mich selbst sehe.

Interview mit Jana Seelig Autorin von Minusgefühle

Wie sind die Reaktionen der Leute nach der Veröffentlichung? Glüht dein Postfach wieder?
Nicht so schlimm wie nach #NotJustSad, aber ja, ich bekomme recht viele Mails von Betroffenen und/oder deren Angehörigen, die sich bei mir dafür bedanken, dass ich diesen Schritt gewagt habe oder die nach Hilfe und Rat suchen.

Hast du überhaupt noch Lust über deine Depression zu sprechen oder wirkt alles wie eine wiederholende Dauerschleife?
Das ist für mich ein zweischneidiges Schwert: einerseits bin ich total glücklich darüber, Aufklärungsarbeit leisten zu dürfen, andererseits merke ich, wie ich als Person doch total auf dieses Thema reduziert werde – dabei gibt es so viele andere tolle Themen, über die man mit mir sprechen kann. Haie zum Beispiel. Feminismus. Oder Justin Bieber.

Nehmen die Leute dich noch als Person neben/ohne die Krankheit wahr oder bist du nun das Aushänge-Schild dieser Krankheit geworden?
Das hängt ein bisschen davon ab, wen man als „die Leute“ definiert. Meine Freunde nehmen mich glücklicherweise noch als den Menschen wahr, der ich bin und hüten sich davor, gewisse Eigenschaften, die ich nun mal habe und die zu meinem Charakter gehören, auf die Depression zu schieben. Bei Fremden habe ich es etwas schwerer. Da wird schnell und viel auf die Krankheit reduziert. Ich werde auch im seltensten Fall als Autorin gesehen, sondern einfach nur als „die, die ein Depri-Buch“ geschrieben hat. Das strengt mich manchmal etwas an.

Interview mit Jana Seelig Autorin von Minusgefühle

Wie war die Arbeit an dem Buch für dich? Ich denke, dass sich viele Leute die Arbeit einer Autorin nicht wirklich genau vorstellen können bzw. dass diese Arbeit greifbar für alle ist. Berichte doch ein wenig darüber. Ist schon weiteres in Planung?
Ich habe schon mein ganzes Leben lang geschrieben. Meine beste Freundin hat kürzlich mein allererstes Buch wiedergefunden! In der 5.Klasse habe ich ein eigenes Märchenbuch geschrieben und gestaltet. Ich habe alles selbst gemacht, von den Texten über die Bilder bis hin zur Bindung.

Vom Exposé zur eigentlichen Schreibarbeit

Wenn man für einen Verlag schreibt, sieht das allerdings etwas anders aus. Zuerst schreibt man ein Exposé darüber, um was es in dem Buch gehen soll und reißt die Geschichte an. Da müssen die wichtigsten Fragen schon geklärt sein: Ist es ein Sachbuch oder Belletristik? Wer sind die Protagonisten? Wo spielt die Handlung? Wer ist die Zielgruppe? Wie viele Seiten wird das Manuskript umfassen? Hardcover, Paperback oder Taschenbuch? Dazu kommen Angaben über die eigene Person (also den*die Autor*in) und etwa 30 Seiten Textbeispiele, damit sich das Lektorat des Verlags ein gutes Bild über den Schreibstil der schreibenden Person machen kann.
Das Lektorat stellt verlagsintern dann die „Bewerber“ vor und entscheidet gemeinsam, welches Buch es ins Verlagsprogramm schafft. Hat man diesen Schritt (und das ist der schwierigste Schritt von allen, denn die Plätze im Verlagsprogramm sind stark beschränkt) geschafft, beginnt das, was von Außenstehenden gerne als die „eigentliche Arbeit“ betrachtet wird. Dann muss man nämlich schreiben. Und schreiben. Und schreiben. Die Idee hinter dem Exposé zu einer Geschichte machen. Bei meinem ersten Buch hatte ich für diesen Schritt 6 Monate Zeit, in vielen Fällen sind es jedoch deutlich weniger. Man hat also definitiv Zeitdruck und muss das Schreiben betrachten wie jeden anderen 8-Stunden-Job auch.

Prüfung des Manuskripts

Danach wird das fertige Manuskript ans Lektorat gegeben. Das kümmert sich darum, dass der Text rund wird. Es ist allerdings nur für den Inhalt zuständig und nicht für die Rechtschreibung. Im Prinzip sorgen sie dafür, dass ein Text durch und durch stimmig ist, sich nicht widerspricht, dass nichts, was für das Verständnis und die Geschichte relevant sind vergessen wird und dass der Text nicht langweilig wird. Das ist natürlich nicht ihre komplette Arbeit, aber eben das, was von ihnen wieder bei mir ankommt. Sie sind die ersten Leser. Die ersten, die die eigene Geschichte nicht kennen. Und sie sind eben dafür zuständig, dass diese Geschichte nicht nur im Kopf des Autors Sinn ergibt, sondern auch in den Köpfen der Leser. Sie schreiben jedoch den Text nicht um, sondern versehen ihn lediglich mit Anmerkungen.
Im nächsten Schritt beginnt das, was ich die „eigentliche Arbeit“ nenne, nämlich die Feinarbeiten am Text. Man arbeitet die Anmerkungen des Lektorats Stück für Stück durch und tauscht sich immer wieder aus, bis der Text ein für den Käufer gut lesbares Produkt ist. Beim Schreiben vergisst man ganz schnell mal, dass man für den Leser viel mehr erklären muss. Jeder Gedanke, jedes Gefühl, jede Handlung muss nachvollziehbar gemacht werden. Oftmals handelt es sich dabei um Dinge, die für den Autoren wie Kleinigkeiten wirken, für den Leser aber essentiell sind, um eine Geschichte verstehen zu können. Das Ganze dauert noch mal locker drei Monate, in denen das Manuskript immer wieder hin und her geht, umstrukturiert und teilweise komplett verworfen wird.

Interview mit Jana Seelig Autorin von Minusgefühle

Die Gestaltung / Das Layout des Buches

In der Zwischenzeit kümmert man sich gemeinsam mit dem Verlag um den Buchtitel, die Gestaltung des Covers, den Klappentext, Buchbeschreibungen und ganz viele „Kleinigkeiten“, die um ein Buch herum anfallen. Das ist viel mehr, als man denkt und eine Arbeit, die ich total unterschätzt habe, als ich mich auf das Projekt „Minusgefühle“ einließ. Ist der Text fertig lektoriert und satzfertig, wird er vom Verlag in Buchform gebracht. Das dauert etwa zwei Wochen. Danach bekommt man den Text so wieder, wie er gedruckt aussehen würde – nur eben nicht als fertiges Buch, sondern als PDF. Dann muss man ihn noch einmal durchgehen, auf Ungereimtheiten und Fehler überprüfen. Das ist noch mal extrem viel Arbeit, denn gesetzt und auf Papier fallen noch mal ganz andere Dinge auf, die in sich nicht stimmig sind, die man auf dem PC aber doch leicht übersieht – insbesondere, weil man den Text nach so vielen Monaten Arbeit auch irgendwann auswendig kennt und einfach nicht mehr sehen will. Das ist auch der Schritt, bei dem neben eventuell übriggebliebenen inhaltlichen Schwächen Rechtschreib- und Tippfehler ausgemerzt werden. Auch wenn es Korrektoren gibt, die nur für die Rechtschreibung zuständig sind, muss man da selbst noch einmal mit ran. Das Lektorat fügt die letzten Änderungen zusammen, dann heißt es für die Person, die das Buch geschrieben hat, ein letztes Mal lesen und das Werk absegnen. Erst dann kann das Buch in den Druck gehen.

Ich persönlich musste mir eingestehen, dass Bücher veröffentlichen viel härter ist, als ich es mir vorgestellt hatte

Etwa zwei Wochen später kann man das erste Exemplar in den Händen halten, wobei auch das „nur“ ein Testdruck ist, der von allen Seiten noch mal auf Richtigkeit überprüft wird, also ob auch Grafik, Farbe und alle sonstigen Angaben wirklich stimmen. Den ersten Druck des Buches, den man als Leser auch erwerben kann, gibt es vier weitere Wochen später. In diesen vier Wochen, in denen man am fertigen Buch nichts mehr ändern kann, kann man aber keinesfalls Däumchen drehen. Man kümmert sich um Pressetexte, Termine für Lesungen, gibt die ersten Interviews und stimmt mit dem Verlag die Werbekampagnen ab. Der kümmert sich in der Zwischenzeit zusätzlich darum, dass das Buch in möglichst vielen Buchhandlungen landet. Mit diesem Prozess hat man als Autor allerdings nichts zu tun. Ich dachte, wenn das Buch erst mal erschienen ist, bin ich erst mal fertig und habe ein paar Tage Ruhe, doch es ist genau das Gegenteil der Fall. Man hat zwar keine Schreibarbeit mehr, dafür aber extrem viele andere Termine wie beispielsweise Interviews und Lesungen. Während man beim Schreibprozess gefühlt 99% seiner Zeit zuhause vor dem Rechner verbringt, ist man plötzlich nur noch unterwegs. Zu all dem kommen weitere Verhandlungen, zum Beispiel über Auslands-, Film- und Hörspielrechte. Aber diesen Prozess zu erklären, würde vermutlich den Rahmen sprengen.

Ich persönlich musste mir eingestehen, dass Bücher veröffentlichen viel härter ist, als ich es mir vorgestellt hatte. Mir war nicht bewusst, was da neben der Schreibarbeit selbst eigentlich noch mit dranhängt. Es gibt so einige Aufgaben, vor denen ich mich am liebsten drücken würde, aber es gehört nun mal alles zusammen und ich bin sehr glücklich, dass ich diese Richtung einschlagen konnte. Und genau deshalb hab ich mich direkt nach „Minusgefühle“ in die Arbeit an einem weiteren Buch gestürzt.

Wofür bist du in deinem Leben besonders dankbar?
Dafür, dass ich das machen darf, was ich liebe. Und Kotti!

Interview mit Jana Seelig Autorin von MinusgefühleLiebe Jana, ich bedanke mich für das tolle Interview und die vielen Hintergrundinformationen zum Buch und deiner Person. Ich nehme dein Angebot beim Schopfe und das nächste Mal unterhalten wir uns dann über Feminimus oder am besten über dein neues Buch. Ich freu mich drauf! 😉

Weitere Informationen und eine Leseprobe von Minugefühle findet ihr direkt beim Piper Verlag.

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Fotos via Jana Seelig & Martina Trommer

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